Vielfältig sind die Materialien, die Barbara Ur bearbeitet und die sie miteinander kombiniert. Zunächst ist da die grundlegende Entscheidung zwischen Tafelbild, das von ihrer Ausbildung her Barbara Ur nahe liegt und das sie zum Relief hin erweitert hat, und der raumgreifenden Skulptur festzuhalten. Dabei wird Holz ebenso wie Keramik oder Eisenbeton zum Material. Immer behält das verwendete Material seine Eigenart. Sehr oft wird die Oberfläche malerisch behandelt.
Nägel ragen aus dem bemalten Holz. Aluminium-becher sind in ein Relief eingearbeitet. Dunkel klafft der Innenraum einer überlebensgroßen Figur. Die Werke Barbara Urs zeigen offen ihre Narben, ihre Verletzungen und Verletzlichkeiten. Das geht soweit, Figuren in wahrhaftiger Gespaltenheit vorzuführen. Gespalten ist das Holz, das Material aus dem sie geschaffen sind, gespalten sind sie auch im psychologischen Sinn. Dem Betrachter mag sich diese Schizophrenie mitteilen, wenngleich der sich erst darauf einzustellen hat. Denn die Skulpturen referieren nicht unsere Lebenswirklichkeit, vielmehr zeigen hier Symbole einen Raum der Imagination auf. In ihr einzutreten, ist Sache von Verstand und Gefühl gleichermaßen, eine Ausgangsvor-aussetzung, die sich für jeden Betrachter eigenartig gestaltet, deren grundlegende Momente hier kurz geschildert sein wollen.
Es ist die Reise in einen künstlerischen Kosmos, der bevölkert ist mit Figuren und Konstellationen, deren Mythologien und anspielungsreiche Symbole einen Grundgehalt spiritueller Kraft bewahren. So kann dies nur ein Versuch sein, sich diesem imaginären Kern anzunähern, mit der Gewissheit, ihn nicht anrühren zu können. Dessen bewusst begleitet diese Reise ein Gefühl von Scheu und Vorsicht.
Das erste Mal traf ich die Skulpturen in Barbara Urs Atelier an. Dort standen sie dicht gedrängt auf engem Raum, eine Armee der Kunst gleichsam, die auf ihren Einsatz wartete. Und es schien mir, als hielten die einzelnen Figuren und Gruppen Zwiesprache miteinander, in einer Sprache, deren ich nicht mächtig bin. Und wie die fremden Gestalten einer fremden Zivilisation lösten sie Faszination aus mit dem Beiklang von Angst und Beklemmung. Das sind genügend Voraussetzungen, um eine Annäherung vorsichtig zu gestalten. Der Eindruck war zwiespältig, denn so wie die Figuren scheinbar nicht gestört sein wollen in ihrem Beziehungsgeflecht, wollen sie zugleich aber aufstören und eingreifen. Aus ihrer symbolischen Welt heraus drängen sie sich nicht in unsere Lebenswirklichkeit hinein, sondern ins Traumhafte.
Das kann in einer Installation beschrieben werden, in der die aufgestellte Figurengruppe von inneren Disco-Lichtern flackernd erhellt und in einem Musik- und Klangraum gebettet aufersteht. Das ist weit entfernt vom spielerischen Unernst des Jahrmarktes, vielmehr zeigt sich die abgeschlossene Welt einer im Gleichklang kommunizierenden Gruppe, der sich der Betrachter zwar annähern kann, und die einlädt zu tranceharter Betrachtung. Sie schließt sich ab in einem eigenem Raum der Imagination.
Das gilt auch für die großvolumige Installation der Pyramiden von 1989. Die konstituierenden Drei-ecke sind erfüllt mit symbolischer Kraft: können sie doch energiegeladene Abbilder der Vollkommenheit bedeuten und einen Beziehungsrahmen setzen, der die dreifältige Natur des Universums, Himmel, Erde und Menschen als Körper, Seele und Geist symbolisiert. Diesen Dreiecken ist eine Figuren-gruppe zugeordnet, die wiederum ein Dreiecken bildet, jedoch provokativ das Unvollkommene ausstrahlt, als das dem Menschen Mögliche.
Nicht von ungefähr ist eine Gruppe von großen Figuren als Farbige Soldaten betitelt. Gebrochenheit und Leid gehen aus von den zernarbten Gesichtern, den offen einsichtigen Körpern, die armlos dastehen. Sie sind mehr als nur Reflexe auf die Mediengegenwart der Kriege. Denn genau das, was in den alltäglichen Bildern der Gewalt mehr und mehr entrückt, das einzelne Schicksal tritt hier symbolhaft hervor.
Eine Farbendose in einem bemalten Herd – das ist wie eine Brutstätte der Kunst. Offen ist dieses Werk und zugleich abgeschlossen in der aufgebrachten Farbigkeit, wiederum stilisiert mit den immer wiederkehrenden magischen Dreiecken.
Auch Dinge haben ihr Recht neben den Menschen- und Tiergestalten in diesem imaginären Raum. Sie wirken mit der gleichen assoziativen Kraft wie die menschlichen Figurinen. So entsteht ein ganzheitlicher, in sich abgeschlossener Kosmos. Farbige Gestaltung unterstreicht die Präsenz der einzelnen Merkzeichen. Wärme und Energie sind symbolhafte Merkmale der Farbgestaltung, beson-ders deutlich zu sehen am Beispiel der Installation der großen Pyramide mit den Farben Rot und Gelb. Grelle Farbigkeit wechselt ab mit einer Zeichnung in Schwarz und Weiß. Auch diese wirkt sehr plakativ und hervorstechend.
Dabei sei es die Materie, die eine Faszination ausübe, so beschreibt Barbara Ur den Anfang ihres Arbeitprozesses. Das kann ein Holzrohling genauso gut sein wie die amorphe Masse von Beton. Im Material selbst wohnt die Idee, die herausgearbeitet sein will.
Vorstellbar ist, dass nicht nur zwei oder drei Figuren eine Gruppe bilden, sondern dass die Skulpturen in vermehrter Anzahl auftreten. Doch der individuelle Zug einer jeden Figur bliebe erhalten. Fern einer Maskierung in Anonymität besteht auch in der Vielfalt noch der einmalige Gestus der die Verletztheit signalisiert, aber zugleich auch Mächtigkeit. Macht übt die einzelne Skulptur aus aufgrund ihrer herausgearbeiteten Gestalt, mag sie überlebensgroß oder auch nur kniehoch sein. Herausgehoben ist sie auch aus einer Anonymität der Massenhaftigkeit.
R.D.Lavier “Reise ins Reich des Imaginären – Barbara Ur” aus dem Katalog “Barbara Ur “- Nationalmuseum Danzig – 1994