Kategorie-Archiv: Rezensionen

MARTIN SCHÖNFELD- aus dem Katalog

Rückbesinnungen in Malerei und Plastik. Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski in der Schwartzschen Villa.

An ein gemeinsam geschaffenes Kunstwerk können sich Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski nicht erinnern. Zwar bewegen sie sich seit 40 Jahren als ein Künstlerpaar in der europäischen Kunstöffentlichkeit; seit fast 40 Jahren stellen sie zusammen aus, und 1992 haben sie gemeinsam das Europäische Kunstlaboratorium Tuchomie in Polen gegründet. In ihrem künstlerischen Schaffen gehen sie aber ihre eigenen, ihre individuellen Wege. Und schon ein kurzer Blick auf ihre Werke verdeutlicht die Gegensätze: Barbara Ur neigt dem Experiment zu und sprengt in ihren Bildern und Skulpturen die Grenzen der Mal- und Oberflächen ganz bewusst auf. Andrzej Jan Piwarski schafft dagegen viel stärker aus der Tradition der klassischen Moderne heraus, und aus seinen Bildern spricht das Ethos einer kultivierten Malerei. Während die Werke von Barbara Ur ein impulsiver Neoexpressionismus auszeichnet, sind die Malereien von Andrzej Jan Piwarski einem lyrischen Realismus verbunden. Barbara Ur strebt eine deutliche Aussage an, Andrzej Jan Piwarski’s Gemälde kennzeichnet ein reflektierender Arbeits- und Betrachtungsprozess. Die künstlerischen Unterschiede des Künstlerpaares Ur-Piwarski, das seit 2005 in Berlin ansässig ist, können also nicht deutlicher sein.

Das Werk von Barbara Ur stellt sich in überraschender und erfrischender Vielfalt dar: Sie tritt als Malerin, Bildhauerin und als Objektkünstlerin hervor, und aus ihren Skulpturen baut sie Rauminstallationen. Manchen ihrer Werke fügt sie Licht und Klang hinzu, so dass diese multimedial wirken. Immer wieder entdeckt sie für ihre Gestaltungen neue Arbeitsmaterialien, wie zum Beispiel Brot, das sie als Ausdrucksträger eines fundamentalen Lebenselements einsetzt. Ihre unkonventionelle Arbeitshaltung, ihre Offenheit gegenüber den unendlichen Möglichkeiten der Bildsprache wären ohne die Assemblage als Kunstform der Objektmontage undenkbar. Als Combine Painting lebte die Assemblage in den 1950er und 1960er Jahren in der Pop Art weiter fort. Das Prinzip der Verbindung zweidimensionaler Malerei mit realen, räumlichen Objekten eignet sich Barbara Ur kreativ an. Ihre Bilder öffnet sie zu mehreren räumlichen Ebenen. Ihr formendes Handeln offenbart sich als ein elementares: Der Schnitt in die Leinwand und die Differenzierung der Räumlichkeit spricht für ihren starken plastischen Willen, der sich auch in der Reliefstruktur ihrer Malereien abbildet. Kunst ist hier eine Formung im ursprünglichen Sinne. Auch ihre Skulpturen zeichnet diese direkte Gestaltungsweise aus. Als Konturen, wie in einem Schattentheater angelegt, tragen diese Figuren elementare Gesten in sich. Ein Kontrast aus weißer Fassung und schwarzer Linienbemalung verstärkt ihren Ausdruck. Es sind die Farben des Universums, die Farben der Wahrheit.
Ihre zumeist aus Eichenstämmen herausgearbeiteten Skulpturen bemalt Barbara Ur mit leuchtenden Primärfarben. Damit gewinnen die eigentlich sehr sachlich, teilweise auch archaisierend geformten Körper und Gesichter ihren emotionalen Gehalt. Diese und andere Figuren wirken wie Totempfähle, wie Monumente einer fernen Vergangenheit. Ob sie Männer oder Frauen darstellen, spielt keine Rolle. Vielmehr repräsentieren sie elementare Körper, ureigene Gefühle, die unser aller Verbindung zu den Ursprüngen der Zivilisation sind. Mit Formen und Figuren spürt Barbara Ur den Anfängen der Gestaltung nach. Ihre Werke drücken eine Achtung vor den Grundformen der Kultur aus, die eine elementare Klarheit und formale Reinheit auszeichnete. Die ersten Kulturen sind der Künstlerin Inspiration und Orientierungspunkt zugleich und motivierten sie zur Wahl ihres Künstlernamens “Ur”
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…Als künstlerische Rückbesinnungen in Malerei und Plastik können die Werke von Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski aufgefasst werden. Sie befassen sich mit gestalterischen Bezügen zu dem Vergangenen und Vergessenen. Ihre Fragen an die neuere und ältere Geschichte formen sie mit Mitteln und Objekten der Gegenwart, die ihnen als Brücken zur Vergangenheit dienen. Damit eröffnen sie aber eine ganz realistische Perspektive: Ur und Piwarski arbeiten im Kontext eines zeitgenössischen Realismus, der nicht konstruiert werden muss, sondern sich auf die Dinge, Objekte, Medien und Existenzen der Gegenwart konkret bezieht. Den Betrachtern die Augen zu öffnen für die Wirklichkeiten der Gegenwart und ihren Beziehungen zu den Formen der Vergangenheit, das ist ein wichtiges Anliegen beider künstlerischer Ansätze. In dieser künstlerischen Haltung vereinen sich die vordergründig so unterschiedlichen Arbeitsweisen und Handschriften: In dem Gegenwärtigen das Vergangene zu entdecken und aus dem Vergangenen Perspektiven für unsere Gegenwart und Zukunft zu entwickeln – dieses Wechselspiel von Heute und Damals schweißt die zwei Künstlerindividualitäten Ur und Piwarski zu einem Künstlerpaar zusammen.

MARTIN SCHÖNFELD- aus dem Katalog “Barbara Ur – Andrzej Jan Piwarski – Zeitspuren – Konstruktionszeit” – Galerie Schwartzsche Villa, BERLIN 2007

JUDITH OSTERMANN – “Mensch – Traun – Welt : Barbara Ur”

Konfrontiert mit einer Generationenfolge von Künstlern, schafft Barbara Ur ihr einzigartiges “Universum”.

Faszinierend die Wucht, mit der ihre Werke auf den Betrachter prallen: nicht sanftes Werben um Zuneigung und Verständnis, sondern unvermittelte, brüskierende, ja entlarvende Überfälle zerstörter Illusionen auf den sich sicher wägenden Menschen.
Treibend im Leben erkennt Barbara Ur jede Ästhetik als plakativen Stillstand, den es zu zerstören gilt.
Krieg als Mißachtung moralischer Werte, Umweltzerstörung als Folge egoistischer Wegwerfgesellschaft – angeprangert in aufrüttelnden Bildern, Collagen, Skulpturen und Installationen.
Demgegenüber: Berufung auf alte Zeiten, Nutzung antiker Quellen, Verehrung eines paradiesischen “Ur”-Zustandes.
Diese Extreme zu vereinigen ist Barbara Ur angetreten, und die Vielzahl ihrer Ausdrucksmittel läßt sie ungeheure Kräfte freisetzen…
Wurzelnd in der Ehrfurcht ihrer bäuerlichen Mutter vor dem Brot – ursprünglich, unverfälscht, organisch – als Sacrum der Welt entsteht Ende der 80er Jahre ein erstes Brotobjekt aus dem braun und grün verschimmelten, getrockneten Abfall eines Weihnachtslaibes. Steht das Brot in der christlichen Symbolik als “spirituelle Nahrung” für die Verbindung von körperlichen und geistigen Bedürfnissen des Menschen, wird es bei Barbara Ur zum säkularen Zeichen elementarer menschlicher Belange.

Noch frühere Nähe schon in den 60ern zu Chagalls in Licht und Farben schwebenden Figuren existiert durch die Faszination, differente Realitäten miteinander zu verknüpfen, sich von der Magie des Einmaligen verzaubern zu lassen.

Einmalig auch die Art und Weise, in der sich Barbara Urs Ausdruckswille durch verschiedenste Formen und Techniken Bahn bricht – die Keramikerin, Malerin, Bildhauerin, Grafikerin und Objektkünstlerin liebt neben Ton auch Farbe und Pinsel, Holz, Beton, Stahl, Stein, Pappe, Papier und Abfallprodukte: “Ich will immer zuviel. Mein Leben müßte noch 200 Jahre dauern”.
Der Wille zur Vielfältigkeit steigert sich in der Verschmelzung verschiedener Disziplinen und deren Untermalung mit Musik und Lichteffekten: Grenzüberschreitungen der 80er einer Frau, die zu Zeiten eine solche überquert hat und dann aus ihrer Heimat ausgeschlossen war, jedoch nie Heimweh verspürt hat, solange Menschen die sie liebte und deren Sprache sie verstand, um sie waren – zumal Barbara Ur nie statisch sein und an einem Ort verweilen wollte, sondern immer wandern, um die Welt und mehr zu blicken…

In ihrem Künstlernamen drückt Barbara Ur die Faszination der alten, “ur”-sprünglichen Zeiten auf sie selbst aus, jener Zeiten, in denen Menschen allein und primitiv Dinge zur Entwicklung brachten, deren Triebfeder Unruhe, Angst oder auch Faszination waren. Diese Gefühle sind gleichzeitig Urquelle des Wissens, im Leben mit der Welt der Natur gegenüber hilflos zu sein, sie nicht beherrschen zu können.
Derartige Ängste existieren für sie auch heute noch; die Geheimnisse der Entstehung sind uneinnehmbar, alles Denken und Observieren bringt kein endgültiges Licht ins Dunkel.
Barbara Urs Name steht auch für den Wunsch, aus alten Quellen zu lernen, sich von ihnen inspirieren zu lassen – ohne den Zwang allumfassender Herrschaft. So verwendet sie 1976 noch in Polen Hieroglyphen als grafisches Muster, wiederholt in veränderter Form bereits Existierendes, da sie “nichts Neues schaffen kann”.
Und trotzdem: je nach eigenem Entwicklungsstand verändern sich formale, technische und inhaltliche Charakteristika der entstehenden Werke, nie ordnen sie sich einer Stilrichtung unter.
So treten bereits Anfang der 70er Jahre in Barbara Urs ersten Arbeiten surrealistische neben grafische Elemente, werden realistische Details farblich und formal entfremdet; etwas später folgen apokalyptische Reaktionen in sich strukturierter Malerei mit informellen Details auf das wirtschaftliche System im Exil: einer Künstlerin wie Barbara Ur liegt Kommerzielles fern.

Auf sich steigernde Symbolik in Form, Inhalt und Material folgt die Suche nach einer neuen Dimension: zu ästhetisch erscheinen Barbara Ur die Flächen ihrer Bilder, sie bringt -1976- die Leinwand durch dreieckige Schnitte in Bewegung, verwandelt sie in Raum, bricht Licht und läßt durch die Plastizität der Bilder wie von selbst Schatten fallen; diese Zerstörung intensiviert als halbplastisches Gestaltungsmittel den Ausdruck der von Barbara Ur präsentierten, vielschichtigen Welt.
Zunächst bleibt die Rückseite der geöffneten Leinwand naturell, später wird der Hintergrund mit Leisten und Ähnlichem gefüllt, Ende der 80er Jahre erscheinen in den nun weißen strukturellen Öffnungen stark farbige Tier- und Menschenköpfe.
Hohe Plastizität findet sich auch bei “Ur”-Gobelins und konstruktiven Reliefs, die am Ende der 70er Jahre entstehen; erstarrte Masken des zivilisierten Menschen in der Gesellschaft und die Erinnerung an das Werden der Technik aus Natur.
Ein eigenes Atelier läßt 1980 lang ersehnte Expansionen zu; neben Tonköpfen und Büsten verwirklicht Barbara Ur nun freistehende Plastiken großen Formats, deren Körperöffnungen Gedanken über eine etwaige innere Leere des Menschen evozieren und den Gegensatz zu gestylter, unnatürlicher, bloßer Oberfläche bilden.
Gesteigert sieht sich der Zweifel an der materialistischen Welt durch das Einfügen alltäglicher Dinge und Abfallprodukte in die kritisch den heutigen Menschen anklagenden Kompositionen Barbara Urs. Dennoch spricht keine Hoffnungslosigkeit aus den Spannungen und Brüchen der Sujets; die Künstlerin zeigt einen mit dem Schicksal und seinen Widersprüchen kämpfenden Menschen, der, wenn auch mühevoll, die Verwirklichung seiner Wünsche erreichen kann – solange er sich die Wurzeln seines Daseins bewußt macht.
Schläfriges Bewusstsein erfährt Verlebendigung durch provokante Aktionen; angeprangert verliert alles -vom alltäglichen Egoismus bis zu den Gefahren des Totalitarismus- seine lähmende Macht über den Selbstgerechten, weckt die verschüttete Sensibilität der Menschen.
Der Glaube an die Güte des Menschen überhaupt ist es, der sich durch das Werk Barbara Urs zieht; euphorisch und einsam zugleich vermittelt sie die Transparenz der Harmonie menschlichen Lebens hinter dem scheinbaren Chaos.
So zeigen Skulpturen ihre Narben und Verletzlichkeiten, ragen Nägel aus gespaltenem Holz, klaffen dunkle Höhlen – eindringliche Symbole, die uns in unsere Träume zu versetzen scheinen und dem Betrachter die Möglichkeit geben, spielend – träumend?! – ein “Dahinter” zu begreifen, das Wahre zu erfahren.
Die Installationen der Künstlerin lassen je nach Szenerie die Gedanken fliegen, Farb- und Formsymbolik tun ein Übriges, Unbewußtes frei zu setzen, den Menschen in seinen Möglichkeiten zu bestärken, einengende Schranken hinter sich zu lassen.
Nach der Überwindung vieler Grenzen in Polen, Norwegen, Schweden, Spanien und Deutschland formt Barbara Ur seit 1992 in Tuchomie mit dem “Europäischen Skulpturenpark” ihr “Urversum”.
Zusammen mit Künstlern aus ganz Europa verwirklicht sie den Traum von der Umformung eines Raumes für die nächste Generation, offen für alles und alle, außerhalb der Zeit…
Hier ist der Ort, an dem Barbara Ur ihrem Menschentraum nahe ist und die Kunst die Energie, um Formen dieser Vorstellung von Freiheit zu entwickeln – und über allem Gestaltungswillen schwebt die Überzeugung: “Kunst ist nicht nur Gestalten, sondern auch Glaube”.
So setzt sich Inspiration mit planvoller Entwicklung auseinander, scheint das Unerreichbare realistisch, findet sich in jeder Disharmonie die Lebenskraft der Poesie.

VOGELMENSCHEN
IN BLAUEM RAUM GEHÄNGT
WIE DIE DAUERHAFTE LIEBE
IN EWIGKEIT

(Barbara Ur)

JUDITH OSTERMANN – “Mensch – Traun – Welt : Barbara Ur”- aus dem Katalog ” Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski – Schlesisches Museum – Katowice 2001″.

TADEUSZ PIASKOWSKI – /Direktor des Nationalmuseums in Danzig/

…Mit den Werken von Barbara Ur und Andrzej Piwarski bin ich relativ spät konfrontiert worden. Es war im Januar 1978 in Frombork (Frauenburg). Dieses Ereignis hat in meinem Gedächtnis tiefe Spuren hinterlassen. In der wunderschönen Szenerie des wie im Winterschlaf versunkenem, in dicken Schnee eingehüllten Kathedralehügels, in allumfassendem Weiß kontrastierten die märchenhaft bunten Bilder, aufgehängt im gotisch-barocken Bischofspalast. Der Anblick war atemberaubend. Man hatte das Gefühl der Teilnahme an einem eigenartigen Mysterium, in dem die reale Welt sich fast auf ideale Weise mit der imaginären Welt der hochbegabten Künstler vereint…

TADEUSZ PIASKOWSKI – /Direktor des Nationalmuseums in Danzig/ aus dem Katalog “Andrzej Jan Piwarski – Nationalmuseum Danzig 1994”

Prof.Dr.Thomas Strauss-Köln 1994 ” Die eruptive Erdverbundenheit”

Einige schweizerische und deutsche Kunstmuseen haben sich vor kurzem mit bedeutsamen Retrospektiven an ein eher soziologisches und psychologisches als ästhe-
tisches Phänomen, das bislang im Schatten des noch nicht Ausgesprochenen verblieben war, herangewagt. Es geht um die Paarbeziehungen, um das Zusammenleben von Künstlern, um ihre intime partnerschaftliche Zusammenarbeit und die gegenseitige Inspiration und damit um den oft verborgen gebliebenen Beitrag zur Kunstgeschichte, den einzelne, hinter dem Glanz ihrer berühmten Ehemänner, seit je bescheiden und unauffällig, arbeitende Frauen-Künstlerinnen geliefert haben. Eine Sonia Delaunay, Sophie Taenber-Arp oder Hannah Höch zum Beispiel; in Polen sagen wir eine Katarzyna Kobro und viele andere, zu Unrecht wenig bekannt gebliebene Persönlichkeiten.
Es war nicht nur Marianne Werefkin (1860-1936), die unzufrieden mit sich selbst und in den Konventionen Des Anfangs des Jahrhunderts verhaftet, glaubte, dass es nur einem Mann möglich sei, Neues zu schaffen. Sie unter- stützte nicht nur alle Versuche Alexej Jawlenskys, sie fasste auch seine Gefühle in Worte und schrieb dessen Glaubensbekenntnisse nieder. Erst 1938 entdeckte die Kunstgeschichte die großzügigen Manipulationen Monumentalität eines Auguste Rodin, Jackson Pollock oder Diego Rivera blieb der stille und bewegende Aufschrei einer Camille Claudel,Lee Krasner oder Frida Kahlo Jahrzehnte unbemerkt. Das Damenopfer nennt man im Schachspiel einige der entscheidenden Züge, die zum Überleben des Königs führen. Dem in dieses Spiel nicht Eingeweihten muss man dabei erklären, dass der König bei weitem nicht die wirkungsvollste Figur ist. Ohne andere Figuren, die sich für ihn opfern, ist er wahrhaft machtlos.

Die durch die erwähnten kunsthistorischen Ausstellun- gen der letzten Zeit bekannt gewordene Problematik ist sicher ohne grobe Vereinfachungen nicht auf einzelne weitere Künstlerehepaare heutzutage anzuwenden. Auch wenn sich über den im Jahre 1968 kulminierenden kämpferischen Feminismus bestimmt streiten ließe, sicher ist dass die Frauen von heute – die Künstlerinnen, verheiratet mit bekannten und bedeutenden Autoren inbegriffen – großen Wert eben auf die Abgrenzung, also auf die Selbstfindung legen. Sie sind einfach selbst- bewusster geworden. Wahrscheinlich verhält es sich so auch mit der Essener Bildhauerin und Malerin Barbara Ur.
Nicht nur rasante erzählerische Stil der Bilder ihres Mannes Andrzej Jan wirkt auf seine Umgebung bestimmend. Eines Stils, der monumental und irgendwie unbeugsam definitiv bleibt, auch dann, wenn er von den großen Themen der polnischen Geschichte – das direkte Engagement Andrzej Piwarskis für den Freiheitskampf in Polen nach 1981 bleibt auch im westlichen Exil wahr- scheinlich einmalig – zu expressiver Abstraktion übergeht. Barbaras Sohn, Tomasz, ist schon in Deutschland aufgewachsen. Die Impulse, die er von Kunstakademie Düsseldorf – auch nach Beuys, in den achtziger Jahren noch eine der lebhaftesten Werkstätten des experimentellen Tuns in Deutschland – nach Hause mit- bringt, inspirieren bestimmt den angeschlissen Künstlerkreis. Barbaras impulsive Unruhe, ihre ständige Unzufriedenheit mit sich selbst und ihr selbstkritisches Streben nach vorne bekommen so einen direkten, ummittelbar zugreifenden inspirativen Anstoß.
Die Ausgangssicherheiten erwarb sich Barbara Ur vor- Wiegend in der Beschäftigung mit der Keramik. Das eruptive Naturel der Künstlerin ist aber auch durch die relativ strengen, stabilen regeln einer alten Handwerkstradition, aus der man nur schwer aussteigen kann, nicht zu fesseln. Ehe sich hier die ersten Erfahrun- gen zu irgendeiner Stilroutine festigen können, bricht das ungehemmte Temperament in alle Richtungen aus. Holz, Stein, Metall und Textil, verschiedene Abfallprodukte durchbrechen die eventuelle Monotonie der sonst üblichen und eingespielten Tonformen. Die figurativen Remini-szenzen und der Reichtum an lebhaften Assoziationen breche den disziplinierten Vorstoß zum rein Funktionellen.

Die Faszination der expressiven Farbgebung und das Abenteuer der skizzenhaften Zeichnung am liebsten a la prima, mit einem voll in den Ölbrei eingetauchten breiten Pinsel, begleiten Barbaras künstlerische Vitalität von Anfang an. Die Ausflüge aus dem intimen Heimatnest Danzig nach Skandinavien und Deutschland (und später dann noch nach Spanien) erweitern den Horizont und ermuntern zum andauernden Experiment. Die Ausgangs-inspiration durch das Werk von Marc Chagall bleibt dabei durch Jahrzehnte erhalten. Durch die zur Selbständigkeit tendieren pastosen und dicken Malschichten, die in sich schon den Expansionsdrang des Temperaments befrie-digen, leuchtet immer Barbaras andauernde, Verzaubre rung durch das Einmalige, wenn wir es so wollen, das eigentliche Thema selbst durch.
Im Übergang von den achtziger in die neunziger Jahre beginnt sich die Vielfalt der thematischen und materiellen Experimente zu vereinfachen. Das Interesse an den Ausbruchsmöglichkeiten in alle sich abzeichnenden Richtungen bekommt jetzt einen konstanten Kern. Bei der Ästhetik der Schnelligkeit, der konzentrierten Kürze und der Hauptgegenstand von Barbara Urs Interessen, nämlich die skizzenhafte, mit minimalen Kettenschnitten aus dem groben Holzklotz herausgezauberte Andeutung der menschlichen Figur. Das Mythologische, es kann auch das anthropologische sein, ist in die Gegenwart umgesetzt und aktualisiert. Bevor wir uns aber in das Geheimnis der angedeuteten Symbole – ein Geheimnis, das Barbara Ur wahrscheinlich zur Zeit am meisten reizt – vertiefen, scheint es angebracht, hier einige Bemerkungen zum breiteren künstlerischen Kontext ihrer Werke vorzubringen.
Die zweite Hälfte der achtziger Jahre, die Zeit also, in der das Werk der Essener Bildhauerin die kompakte Sicherheit und die unverkennbare Handschrift annimmt, ist
Die Zeit, in der die moderne deutsche Kunst nach ein paar Jahrzehnten der totalen Abwesenheit aufs neue in die anspruchsvolle internationale Konfrontation zurückkehrt. Köln und Düsseldorf, d.h. die Essen am nächsten liegenden Großstädte, sind – neben Berlin – die Orte, wo die Ästhetik der “Neuen Wilden” sich zum ersten Mal und wahrscheinlich auch am stärksten zu Wort meldet. Braucht man hier unbedingt einzelne Namen, wie z.b. Lüpertz,Höckelmann, Baselitz, Immendorf, Dahn, Dokupil, oder Kiefer zu erwähnen?

Was aber bemerkenswert ist, ist die Beschränkung der neun deutschen Ästhetik auf die Malerei selbst. Der Autor dieser Zeilen arbeitete in der Zeit des größten Aufbruchs der Neuen Wilden an einem auf das zeitgenössische Plastik spezialisierten Kunstmuseum. So weiß er aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, die Parallelität der neuesten malerischen Stilistik eben auf dem Gebiet der Skulptur und der Raumgestaltung zu beweisen. Auch bei der großartigen Ausstellungsbilanz “Skulptur des Expres-sionismus” (Los Angeles – Köln, 1984) wagte man es nicht, aus der sicheren klassischen Vergangenheit in die Gegenwart hinüberzusteigen. Die groben, mit ungeheurem Schwung gehauenen Holz-Torsi von Barbara Ur füllen also möglicherweise eben jenen freien Raum aus, der von ihren deutschen Kollegen in achtziger Jahren noch unausgefüllt blieb.
Die mit Polen, und besonders mit dem Danziger Kunst-raum verbundene Bildhauerin ist inzwischen auch in der deutschen Kunst, besonders mit der aus dem Ruhrgebiet kommenden, fest beheimatet. Ihr Werk spiegelt so neben der ursprünglichen polnischen Inspiration, auch die Grundzüge der künstlerischen Entwicklung der letzten speziell in Westdeutschland wieder. Beides vermischt sich und bildet so eine neue, eigenwillige und selbständige Einheit, was im Grunde die ideale Zielsetzung aller jemals aus ihrer Heimat Vertriebenen und zwangsläufig in einer neuen, vorerst fremden Umgebung angesiedelten Kultur-schaffenden ist.

Die Stimme Barbara Urs ist in diesem bunten Chor aller Mitteleuropäer unverkennbar. Der in den letzen zwei, drei Jahren sich abspielende Übergang von der expressiven Palette der achtziger Jahre zum gegenwärtigen einfachsten schwarz-weiß Kontrast oder sogar zur Farb-losigkeit der “reinen” Holzskulpturen deutet dabei einige sich überraschend abzeichnende neue Aufbau-gesetzmäßigkeiten an. Das anfängliche Chaos ist, so scheint es, definitiv gebannt. Der immer in geschlo-ssenen Dreiecken von oben nach unten kreisende Rhythmus der skulpturgellen Entfaltung kommt nun auch ohne die unterstützende, oft auch zu dominierende Farbe aus.
Das aus der Plastik verdrängte bunte Kolorit breitet sich dabei ungehemmt in die jedes Werk begleitenden malerischen Skizzen aus. Es scheint, dass das Schaffen von Barbara Ur in der letzten Zeit eine einprägsame Eigendynamik entfaltet hat. Die vor ein paar Jahren noch leise ausgesprochenen Worte der Erwartung haben sich mindestens teilweise erfüllt. Es reicht jetzt schon, mit offenen Augen hinzuschauen. Die ansteckende sinnliche Freude strahlt aus ihrem Werk mit voller Kraft, wobei einige weiter uns noch zu erwartende Überraschungen keineswegs ausgeschlossen sind.

Prof.Dr.Thomas Strauss-Köln 1994 ” Die eruptive Erdverbundenheit” aus dem Katalog “Barbara Ur “- Nationalmuseum Danzig 1994

R.D.Lavier “Reise ins Reich des Imaginären – Barbara Ur”

Vielfältig sind die Materialien, die Barbara Ur bearbeitet und die sie miteinander kombiniert. Zunächst ist da die grundlegende Entscheidung zwischen Tafelbild, das von ihrer Ausbildung her Barbara Ur nahe liegt und das sie zum Relief hin erweitert hat, und der raumgreifenden Skulptur festzuhalten. Dabei wird Holz ebenso wie Keramik oder Eisenbeton zum Material. Immer behält das verwendete Material seine Eigenart. Sehr oft wird die Oberfläche malerisch behandelt.

Nägel ragen aus dem bemalten Holz. Aluminium-becher sind in ein Relief eingearbeitet. Dunkel klafft der Innenraum einer überlebensgroßen Figur. Die Werke Barbara Urs zeigen offen ihre Narben, ihre Verletzungen und Verletzlichkeiten. Das geht soweit, Figuren in wahrhaftiger Gespaltenheit vorzuführen. Gespalten ist das Holz, das Material aus dem sie geschaffen sind, gespalten sind sie auch im psychologischen Sinn. Dem Betrachter mag sich diese Schizophrenie mitteilen, wenngleich der sich erst darauf einzustellen hat. Denn die Skulpturen referieren nicht unsere Lebenswirklichkeit, vielmehr zeigen hier Symbole einen Raum der Imagination auf. In ihr einzutreten, ist Sache von Verstand und Gefühl gleichermaßen, eine Ausgangsvor-aussetzung, die sich für jeden Betrachter eigenartig gestaltet, deren grundlegende Momente hier kurz geschildert sein wollen.

Es ist die Reise in einen künstlerischen Kosmos, der bevölkert ist mit Figuren und Konstellationen, deren Mythologien und anspielungsreiche Symbole einen Grundgehalt spiritueller Kraft bewahren. So kann dies nur ein Versuch sein, sich diesem imaginären Kern anzunähern, mit der Gewissheit, ihn nicht anrühren zu können. Dessen bewusst begleitet diese Reise ein Gefühl von Scheu und Vorsicht.

Das erste Mal traf ich die Skulpturen in Barbara Urs Atelier an. Dort standen sie dicht gedrängt auf engem Raum, eine Armee der Kunst gleichsam, die auf ihren Einsatz wartete. Und es schien mir, als hielten die einzelnen Figuren und Gruppen Zwiesprache miteinander, in einer Sprache, deren ich nicht mächtig bin. Und wie die fremden Gestalten einer fremden Zivilisation lösten sie Faszination aus mit dem Beiklang von Angst und Beklemmung. Das sind genügend Voraussetzungen, um eine Annäherung vorsichtig zu gestalten. Der Eindruck war zwiespältig, denn so wie die Figuren scheinbar nicht gestört sein wollen in ihrem Beziehungsgeflecht, wollen sie zugleich aber aufstören und eingreifen. Aus ihrer symbolischen Welt heraus drängen sie sich nicht in unsere Lebenswirklichkeit hinein, sondern ins Traumhafte.

Das kann in einer Installation beschrieben werden, in der die aufgestellte Figurengruppe von inneren Disco-Lichtern flackernd erhellt und in einem Musik- und Klangraum gebettet aufersteht. Das ist weit entfernt vom spielerischen Unernst des Jahrmarktes, vielmehr zeigt sich die abgeschlossene Welt einer im Gleichklang kommunizierenden Gruppe, der sich der Betrachter zwar annähern kann, und die einlädt zu tranceharter Betrachtung. Sie schließt sich ab in einem eigenem Raum der Imagination.

Das gilt auch für die großvolumige Installation der Pyramiden von 1989. Die konstituierenden Drei-ecke sind erfüllt mit symbolischer Kraft: können sie doch energiegeladene Abbilder der Vollkommenheit bedeuten und einen Beziehungsrahmen setzen, der die dreifältige Natur des Universums, Himmel, Erde und Menschen als Körper, Seele und Geist symbolisiert. Diesen Dreiecken ist eine Figuren-gruppe zugeordnet, die wiederum ein Dreiecken bildet, jedoch provokativ das Unvollkommene ausstrahlt, als das dem Menschen Mögliche.

Nicht von ungefähr ist eine Gruppe von großen Figuren als Farbige Soldaten betitelt. Gebrochenheit und Leid gehen aus von den zernarbten Gesichtern, den offen einsichtigen Körpern, die armlos dastehen. Sie sind mehr als nur Reflexe auf die Mediengegenwart der Kriege. Denn genau das, was in den alltäglichen Bildern der Gewalt mehr und mehr entrückt, das einzelne Schicksal tritt hier symbolhaft hervor.

Eine Farbendose in einem bemalten Herd – das ist wie eine Brutstätte der Kunst. Offen ist dieses Werk und zugleich abgeschlossen in der aufgebrachten Farbigkeit, wiederum stilisiert mit den immer wiederkehrenden magischen Dreiecken.

Auch Dinge haben ihr Recht neben den Menschen- und Tiergestalten in diesem imaginären Raum. Sie wirken mit der gleichen assoziativen Kraft wie die menschlichen Figurinen. So entsteht ein ganzheitlicher, in sich abgeschlossener Kosmos. Farbige Gestaltung unterstreicht die Präsenz der einzelnen Merkzeichen. Wärme und Energie sind symbolhafte Merkmale der Farbgestaltung, beson-ders deutlich zu sehen am Beispiel der Installation der großen Pyramide mit den Farben Rot und Gelb. Grelle Farbigkeit wechselt ab mit einer Zeichnung in Schwarz und Weiß. Auch diese wirkt sehr plakativ und hervorstechend.

Dabei sei es die Materie, die eine Faszination ausübe, so beschreibt Barbara Ur den Anfang ihres Arbeitprozesses. Das kann ein Holzrohling genauso gut sein wie die amorphe Masse von Beton. Im Material selbst wohnt die Idee, die herausgearbeitet sein will.

Vorstellbar ist, dass nicht nur zwei oder drei Figuren eine Gruppe bilden, sondern dass die Skulpturen in vermehrter Anzahl auftreten. Doch der individuelle Zug einer jeden Figur bliebe erhalten. Fern einer Maskierung in Anonymität besteht auch in der Vielfalt noch der einmalige Gestus der die Verletztheit signalisiert, aber zugleich auch Mächtigkeit. Macht übt die einzelne Skulptur aus aufgrund ihrer herausgearbeiteten Gestalt, mag sie überlebensgroß oder auch nur kniehoch sein. Herausgehoben ist sie auch aus einer Anonymität der Massenhaftigkeit.

R.D.Lavier “Reise ins Reich des Imaginären – Barbara Ur” aus dem Katalog “Barbara Ur “- Nationalmuseum Danzig – 1994

Prof. Stephan Selhorst – aus dem Katalog “Barbara Ur”

Der Bitte, für den Katalog der Ausstellung “Barbara Ur” etwas wie ein Vorwort zu schreiben, komme ich gerne nach, zumal eine gewisse Absicherung – zugegeben: als Schutz gegen die “Öffentlichkeit” dankbar in Anspruch genommen – gegeben ist: das Zimmertheater in Münster als Ausstellungsort ist für die Künstlerin schon ein Alibi, als renommierter Platz, Treffpunkt eines theaterfreudigen Publikums, das hier auch gelegentlich den Schwesterkünsten begegnen kann. Wie jetzt, ungestört durch das Offizium einer Vernissage. Kunst und Betrachter sind hier ganz unter sich. Das vor allem scheint den Bilder von Barbara Ur angemessen zu sein. Ihnen eignet eine besondere Intimität, der Betrachter spürt es auf den ersten Blick, dass sie aus ganz menschlichen Impulsen leben. Wie also sollte man darauf nicht mit einem ” guten Wort” reagieren. Eine Kunstkritik sollte dies nicht sein, auch keine Analyse, keine ästhetische Qualifizierung. Damit träte man der Künstlerin buchstäblich zu nahe. Zudem ist es gerade das im gewissen Sinne Un-Perfekte, das diesen Bildern den Reiz des Ursprünglichen verleiht: dass alles ohne Routine hingesetzt ist, leichtfertig in dem Sinne dass hier eine Motorik spürbar wird, die mehr mit der Hand als dem Handwerk etwas zu tun hat, die Hand als ” verlängerter Arm des Geistes” verstanden. Trotzdem bleibt für den Betrachter alles schwierig zu fassen. Vielleicht weil – eine Frau dahintersteckt? Und eine Polin. Tatsächlich muten diese Bilder auf den ersten Blick fremdartig an, das Andersartige drängt sich in den Vordergrund. Es ist wohl die gewisse “Rassigkeit”, die uns Menschen dieser Breiten fasziniert, uns, die wir dagegen gleichförmig, jedoch keineswegs entsprechend ausgeglichen sind. Und dass hier noch das Wagnis unternommen wird, in der künstlerischen Äußerung etwas wie Weltaufschluss und Deutung zu geben, und dies mit der ganzen Heftigkeit, die dem slawischen Menschen von Natur aus eigen ist, mit unverstellter Menschlichkeit. Hier wird nicht “Antikunst” bemüht, um darzutun, dass Kunst Lüge und Gaukelei sei – und tatsächlich auch nicht selten ist: ausgebrütet auf dem Prokrustesbett verdrängter Gefühle. Barbara Ur kann es sich noch leisten, Gefühle zu zeigen, Emotionen zu evozieren; denn sie besitzt sie, und sie ist ihrer fähig. Dies sind echte Gefühle, die mehr sind als ichbezogenes und komplexes Sentiment, Gefühle, die Welttransparenz besitzen. Ihre Bildthemen sind “romantisch” angehaucht, das heißt: auf das Unvollständige gerichtet, auf das Unerreichbare, sie machen jene “Störungen” deutlich, durch die der Mensch von Anfang an, vom Ursprung her gefährdet ist, vor allem aber der Künstler. Sanftes Mondlicht über einer reizüberfluteten Menschenlandschaft, verwehende Träume, Stillstand der Zeit. Faszination des Raumes, Geheimnisse. Hart hingesetzt ist das alles, die Farben bunt aus der Tube gequetscht, der Charme des Immateriellen in der Materie. Kein Wunder: ein wenig Melancholie ist immer dabei, auch diese wieder nicht das Ergebnis gedanklicher Überanstrengung, Randerscheinung eher, starke Gefühle, die überquellen und letztlich, dadurch, dass sie niedergeschrieben sind, Befreiung geben, Heiter. Kandinskys Zitat von der “Lachenden Träne”.

Prof. Stephan Selhorst – aus dem Katalog “Barbara Ur” – Galerie des Zimmertheaters – MÜNSTER – 1975