MARTIN SCHÖNFELD- aus dem Katalog

Rückbesinnungen in Malerei und Plastik. Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski in der Schwartzschen Villa.

An ein gemeinsam geschaffenes Kunstwerk können sich Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski nicht erinnern. Zwar bewegen sie sich seit 40 Jahren als ein Künstlerpaar in der europäischen Kunstöffentlichkeit; seit fast 40 Jahren stellen sie zusammen aus, und 1992 haben sie gemeinsam das Europäische Kunstlaboratorium Tuchomie in Polen gegründet. In ihrem künstlerischen Schaffen gehen sie aber ihre eigenen, ihre individuellen Wege. Und schon ein kurzer Blick auf ihre Werke verdeutlicht die Gegensätze: Barbara Ur neigt dem Experiment zu und sprengt in ihren Bildern und Skulpturen die Grenzen der Mal- und Oberflächen ganz bewusst auf. Andrzej Jan Piwarski schafft dagegen viel stärker aus der Tradition der klassischen Moderne heraus, und aus seinen Bildern spricht das Ethos einer kultivierten Malerei. Während die Werke von Barbara Ur ein impulsiver Neoexpressionismus auszeichnet, sind die Malereien von Andrzej Jan Piwarski einem lyrischen Realismus verbunden. Barbara Ur strebt eine deutliche Aussage an, Andrzej Jan Piwarski’s Gemälde kennzeichnet ein reflektierender Arbeits- und Betrachtungsprozess. Die künstlerischen Unterschiede des Künstlerpaares Ur-Piwarski, das seit 2005 in Berlin ansässig ist, können also nicht deutlicher sein.

Das Werk von Barbara Ur stellt sich in überraschender und erfrischender Vielfalt dar: Sie tritt als Malerin, Bildhauerin und als Objektkünstlerin hervor, und aus ihren Skulpturen baut sie Rauminstallationen. Manchen ihrer Werke fügt sie Licht und Klang hinzu, so dass diese multimedial wirken. Immer wieder entdeckt sie für ihre Gestaltungen neue Arbeitsmaterialien, wie zum Beispiel Brot, das sie als Ausdrucksträger eines fundamentalen Lebenselements einsetzt. Ihre unkonventionelle Arbeitshaltung, ihre Offenheit gegenüber den unendlichen Möglichkeiten der Bildsprache wären ohne die Assemblage als Kunstform der Objektmontage undenkbar. Als Combine Painting lebte die Assemblage in den 1950er und 1960er Jahren in der Pop Art weiter fort. Das Prinzip der Verbindung zweidimensionaler Malerei mit realen, räumlichen Objekten eignet sich Barbara Ur kreativ an. Ihre Bilder öffnet sie zu mehreren räumlichen Ebenen. Ihr formendes Handeln offenbart sich als ein elementares: Der Schnitt in die Leinwand und die Differenzierung der Räumlichkeit spricht für ihren starken plastischen Willen, der sich auch in der Reliefstruktur ihrer Malereien abbildet. Kunst ist hier eine Formung im ursprünglichen Sinne. Auch ihre Skulpturen zeichnet diese direkte Gestaltungsweise aus. Als Konturen, wie in einem Schattentheater angelegt, tragen diese Figuren elementare Gesten in sich. Ein Kontrast aus weißer Fassung und schwarzer Linienbemalung verstärkt ihren Ausdruck. Es sind die Farben des Universums, die Farben der Wahrheit.
Ihre zumeist aus Eichenstämmen herausgearbeiteten Skulpturen bemalt Barbara Ur mit leuchtenden Primärfarben. Damit gewinnen die eigentlich sehr sachlich, teilweise auch archaisierend geformten Körper und Gesichter ihren emotionalen Gehalt. Diese und andere Figuren wirken wie Totempfähle, wie Monumente einer fernen Vergangenheit. Ob sie Männer oder Frauen darstellen, spielt keine Rolle. Vielmehr repräsentieren sie elementare Körper, ureigene Gefühle, die unser aller Verbindung zu den Ursprüngen der Zivilisation sind. Mit Formen und Figuren spürt Barbara Ur den Anfängen der Gestaltung nach. Ihre Werke drücken eine Achtung vor den Grundformen der Kultur aus, die eine elementare Klarheit und formale Reinheit auszeichnete. Die ersten Kulturen sind der Künstlerin Inspiration und Orientierungspunkt zugleich und motivierten sie zur Wahl ihres Künstlernamens “Ur”
.

…Als künstlerische Rückbesinnungen in Malerei und Plastik können die Werke von Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski aufgefasst werden. Sie befassen sich mit gestalterischen Bezügen zu dem Vergangenen und Vergessenen. Ihre Fragen an die neuere und ältere Geschichte formen sie mit Mitteln und Objekten der Gegenwart, die ihnen als Brücken zur Vergangenheit dienen. Damit eröffnen sie aber eine ganz realistische Perspektive: Ur und Piwarski arbeiten im Kontext eines zeitgenössischen Realismus, der nicht konstruiert werden muss, sondern sich auf die Dinge, Objekte, Medien und Existenzen der Gegenwart konkret bezieht. Den Betrachtern die Augen zu öffnen für die Wirklichkeiten der Gegenwart und ihren Beziehungen zu den Formen der Vergangenheit, das ist ein wichtiges Anliegen beider künstlerischer Ansätze. In dieser künstlerischen Haltung vereinen sich die vordergründig so unterschiedlichen Arbeitsweisen und Handschriften: In dem Gegenwärtigen das Vergangene zu entdecken und aus dem Vergangenen Perspektiven für unsere Gegenwart und Zukunft zu entwickeln – dieses Wechselspiel von Heute und Damals schweißt die zwei Künstlerindividualitäten Ur und Piwarski zu einem Künstlerpaar zusammen.

MARTIN SCHÖNFELD- aus dem Katalog “Barbara Ur – Andrzej Jan Piwarski – Zeitspuren – Konstruktionszeit” – Galerie Schwartzsche Villa, BERLIN 2007