JUDITH OSTERMANN – “Mensch – Traun – Welt : Barbara Ur”

Konfrontiert mit einer Generationenfolge von Künstlern, schafft Barbara Ur ihr einzigartiges “Universum”.

Faszinierend die Wucht, mit der ihre Werke auf den Betrachter prallen: nicht sanftes Werben um Zuneigung und Verständnis, sondern unvermittelte, brüskierende, ja entlarvende Überfälle zerstörter Illusionen auf den sich sicher wägenden Menschen.
Treibend im Leben erkennt Barbara Ur jede Ästhetik als plakativen Stillstand, den es zu zerstören gilt.
Krieg als Mißachtung moralischer Werte, Umweltzerstörung als Folge egoistischer Wegwerfgesellschaft – angeprangert in aufrüttelnden Bildern, Collagen, Skulpturen und Installationen.
Demgegenüber: Berufung auf alte Zeiten, Nutzung antiker Quellen, Verehrung eines paradiesischen “Ur”-Zustandes.
Diese Extreme zu vereinigen ist Barbara Ur angetreten, und die Vielzahl ihrer Ausdrucksmittel läßt sie ungeheure Kräfte freisetzen…
Wurzelnd in der Ehrfurcht ihrer bäuerlichen Mutter vor dem Brot – ursprünglich, unverfälscht, organisch – als Sacrum der Welt entsteht Ende der 80er Jahre ein erstes Brotobjekt aus dem braun und grün verschimmelten, getrockneten Abfall eines Weihnachtslaibes. Steht das Brot in der christlichen Symbolik als “spirituelle Nahrung” für die Verbindung von körperlichen und geistigen Bedürfnissen des Menschen, wird es bei Barbara Ur zum säkularen Zeichen elementarer menschlicher Belange.

Noch frühere Nähe schon in den 60ern zu Chagalls in Licht und Farben schwebenden Figuren existiert durch die Faszination, differente Realitäten miteinander zu verknüpfen, sich von der Magie des Einmaligen verzaubern zu lassen.

Einmalig auch die Art und Weise, in der sich Barbara Urs Ausdruckswille durch verschiedenste Formen und Techniken Bahn bricht – die Keramikerin, Malerin, Bildhauerin, Grafikerin und Objektkünstlerin liebt neben Ton auch Farbe und Pinsel, Holz, Beton, Stahl, Stein, Pappe, Papier und Abfallprodukte: “Ich will immer zuviel. Mein Leben müßte noch 200 Jahre dauern”.
Der Wille zur Vielfältigkeit steigert sich in der Verschmelzung verschiedener Disziplinen und deren Untermalung mit Musik und Lichteffekten: Grenzüberschreitungen der 80er einer Frau, die zu Zeiten eine solche überquert hat und dann aus ihrer Heimat ausgeschlossen war, jedoch nie Heimweh verspürt hat, solange Menschen die sie liebte und deren Sprache sie verstand, um sie waren – zumal Barbara Ur nie statisch sein und an einem Ort verweilen wollte, sondern immer wandern, um die Welt und mehr zu blicken…

In ihrem Künstlernamen drückt Barbara Ur die Faszination der alten, “ur”-sprünglichen Zeiten auf sie selbst aus, jener Zeiten, in denen Menschen allein und primitiv Dinge zur Entwicklung brachten, deren Triebfeder Unruhe, Angst oder auch Faszination waren. Diese Gefühle sind gleichzeitig Urquelle des Wissens, im Leben mit der Welt der Natur gegenüber hilflos zu sein, sie nicht beherrschen zu können.
Derartige Ängste existieren für sie auch heute noch; die Geheimnisse der Entstehung sind uneinnehmbar, alles Denken und Observieren bringt kein endgültiges Licht ins Dunkel.
Barbara Urs Name steht auch für den Wunsch, aus alten Quellen zu lernen, sich von ihnen inspirieren zu lassen – ohne den Zwang allumfassender Herrschaft. So verwendet sie 1976 noch in Polen Hieroglyphen als grafisches Muster, wiederholt in veränderter Form bereits Existierendes, da sie “nichts Neues schaffen kann”.
Und trotzdem: je nach eigenem Entwicklungsstand verändern sich formale, technische und inhaltliche Charakteristika der entstehenden Werke, nie ordnen sie sich einer Stilrichtung unter.
So treten bereits Anfang der 70er Jahre in Barbara Urs ersten Arbeiten surrealistische neben grafische Elemente, werden realistische Details farblich und formal entfremdet; etwas später folgen apokalyptische Reaktionen in sich strukturierter Malerei mit informellen Details auf das wirtschaftliche System im Exil: einer Künstlerin wie Barbara Ur liegt Kommerzielles fern.

Auf sich steigernde Symbolik in Form, Inhalt und Material folgt die Suche nach einer neuen Dimension: zu ästhetisch erscheinen Barbara Ur die Flächen ihrer Bilder, sie bringt -1976- die Leinwand durch dreieckige Schnitte in Bewegung, verwandelt sie in Raum, bricht Licht und läßt durch die Plastizität der Bilder wie von selbst Schatten fallen; diese Zerstörung intensiviert als halbplastisches Gestaltungsmittel den Ausdruck der von Barbara Ur präsentierten, vielschichtigen Welt.
Zunächst bleibt die Rückseite der geöffneten Leinwand naturell, später wird der Hintergrund mit Leisten und Ähnlichem gefüllt, Ende der 80er Jahre erscheinen in den nun weißen strukturellen Öffnungen stark farbige Tier- und Menschenköpfe.
Hohe Plastizität findet sich auch bei “Ur”-Gobelins und konstruktiven Reliefs, die am Ende der 70er Jahre entstehen; erstarrte Masken des zivilisierten Menschen in der Gesellschaft und die Erinnerung an das Werden der Technik aus Natur.
Ein eigenes Atelier läßt 1980 lang ersehnte Expansionen zu; neben Tonköpfen und Büsten verwirklicht Barbara Ur nun freistehende Plastiken großen Formats, deren Körperöffnungen Gedanken über eine etwaige innere Leere des Menschen evozieren und den Gegensatz zu gestylter, unnatürlicher, bloßer Oberfläche bilden.
Gesteigert sieht sich der Zweifel an der materialistischen Welt durch das Einfügen alltäglicher Dinge und Abfallprodukte in die kritisch den heutigen Menschen anklagenden Kompositionen Barbara Urs. Dennoch spricht keine Hoffnungslosigkeit aus den Spannungen und Brüchen der Sujets; die Künstlerin zeigt einen mit dem Schicksal und seinen Widersprüchen kämpfenden Menschen, der, wenn auch mühevoll, die Verwirklichung seiner Wünsche erreichen kann – solange er sich die Wurzeln seines Daseins bewußt macht.
Schläfriges Bewusstsein erfährt Verlebendigung durch provokante Aktionen; angeprangert verliert alles -vom alltäglichen Egoismus bis zu den Gefahren des Totalitarismus- seine lähmende Macht über den Selbstgerechten, weckt die verschüttete Sensibilität der Menschen.
Der Glaube an die Güte des Menschen überhaupt ist es, der sich durch das Werk Barbara Urs zieht; euphorisch und einsam zugleich vermittelt sie die Transparenz der Harmonie menschlichen Lebens hinter dem scheinbaren Chaos.
So zeigen Skulpturen ihre Narben und Verletzlichkeiten, ragen Nägel aus gespaltenem Holz, klaffen dunkle Höhlen – eindringliche Symbole, die uns in unsere Träume zu versetzen scheinen und dem Betrachter die Möglichkeit geben, spielend – träumend?! – ein “Dahinter” zu begreifen, das Wahre zu erfahren.
Die Installationen der Künstlerin lassen je nach Szenerie die Gedanken fliegen, Farb- und Formsymbolik tun ein Übriges, Unbewußtes frei zu setzen, den Menschen in seinen Möglichkeiten zu bestärken, einengende Schranken hinter sich zu lassen.
Nach der Überwindung vieler Grenzen in Polen, Norwegen, Schweden, Spanien und Deutschland formt Barbara Ur seit 1992 in Tuchomie mit dem “Europäischen Skulpturenpark” ihr “Urversum”.
Zusammen mit Künstlern aus ganz Europa verwirklicht sie den Traum von der Umformung eines Raumes für die nächste Generation, offen für alles und alle, außerhalb der Zeit…
Hier ist der Ort, an dem Barbara Ur ihrem Menschentraum nahe ist und die Kunst die Energie, um Formen dieser Vorstellung von Freiheit zu entwickeln – und über allem Gestaltungswillen schwebt die Überzeugung: “Kunst ist nicht nur Gestalten, sondern auch Glaube”.
So setzt sich Inspiration mit planvoller Entwicklung auseinander, scheint das Unerreichbare realistisch, findet sich in jeder Disharmonie die Lebenskraft der Poesie.

VOGELMENSCHEN
IN BLAUEM RAUM GEHÄNGT
WIE DIE DAUERHAFTE LIEBE
IN EWIGKEIT

(Barbara Ur)

JUDITH OSTERMANN – “Mensch – Traun – Welt : Barbara Ur”- aus dem Katalog ” Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski – Schlesisches Museum – Katowice 2001″.